Destinationsmanagement

New Work - Blick in die Historie im Land Brandenburg

29.02.2024
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Von Dr. Andreas Zimmer, Leiter Clustermanagement Tourismus bei der TMB

Blick zurück ins Jahr 2015 - Brandenburg kam zum ersten Mal mit dem Trend "New Work" in Berührung. Eine Gruppe von Menschen, die sich Coconat nannte, nahm ein leerstehendes ehemaliges FDGB-Gebäude in den Götzer Bergen zwischen Potsdam und Brandenburg a.d.H. in Beschlag.

Sie sammelte etwas Geld bei der Crowdfundingplattform visionbakery und rief zum gemeinsamen „Crowd-Building“ auf, einer Mischung aus freiwilligem Arbeitseinsatz und Community-Würstchen-Grillen. 

Das Coconat verstand sich schon damals als „globaler Pionier für eine starke Antwort ländlicher Gebiete auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters und als Leuchtturmprojekt für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands“. Diese Konzeptskizze trug schon viele Ideen in sich, die heute Realität geworden sind: Coworking, Innovationshub für die Region, Einbeziehung der lokalen Partnerinnen und Partner, FabLab, Übernachtungsangebote und natürlich Feste & Feiern. 

Foto von Matthias Burzinski
Quelle:

TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH

BrandenburgCamp/Gut Boltenhof/Matthias Burzinski

Denkmalschützende Herausforderungen machten einen Weiterbetrieb der Location nicht möglich. Die Gruppe fand in der Nähe von Bad Belzig im Fläming ein neues Zuhause - und den Bürgermeister Roland Leisegang, der an die Vision glaubte und unbürokratisch handelte. Es folgte der Umzug in ein leerstehendes Gutshotel. Und wieder stellten sich Bewohner und Behörden Brandenburgs die Frage: Was machen die da eigentlich? Sie war wichtig, um einen Weg zu finden, das Unternehmen zu fördern. Das Wirtschaftsministerium stufte Coconat schließlich als „hoch innovativ“ ein und bewirkte eine Förderung. 

Vieles ist heute Wirklichkeit, was Coconat damals „versprochen“ hatte. Durch seine innovativen Aktivitäten, Lebensweisen und Netzwerke bereichert das Coconat nicht nur die wirtschaftliche, sondern vor allem auch die gesellschaftliche und kulturelle Umgebung im Südwesten Brandenburgs. Ohne das Coconat gäbe es keine Kreativregion Fläming, die das Wirken der Gruppe marketingtechnisch aufnahm. Es existierten auch kein Smart Village- oder Smart City-Ansatz und keine zukunftsaffine Allianz zwischen kommunalen Aufgabenträgerinnen und -trägern, neuen und alten Vereine, Einheimischen und Zuzüglerinnen und Zuzüglern. Neustes Projekt ist der Mobilitätscampus, in dem Mobilitätslösungen für den ländlichen Raum entwickelt werden. Das ist eher ungewöhnlich für einen eigentlich touristischen Leistungsträger. 

Zwei weitere Einflüsse waren damals wichtig: einerseits die Experten- und Interventionsplattform Collaboratory (CoLab) unter der Leitung von Gerald Swarat. Andererseits Philipp Hentschel, Mitgründer des Coconats, der inspiriert vom CoLab die Meet-Up-Gruppe Stadt-Land-Work (heute Zukunftsorte) aufbaute. Sie hat heute über 2.500 Mitglieder.

Andere kamen und mischten mit: Tobias Kremkau, früher St. Oberholz, heute Coworkland, Silvia Hennig mit ihrem Think & Do Tank Neuland 21, Frederik Fischer mit den Summer of Pioneers und den Kodörfern, die Akteurinnen und Akteure der Zukunfts- und Kreativorte und viele andere.  Dr. Steffen Kammradt, Chef der brandenburgischen Wirtschaftsförderung, sprach schon 2018 von einem „zweiten Gleis der Wirtschaftsentwicklung im Land Brandenburg“, auch wenn das für viele klassische Industrievertreter und Wirtschaftsförderer damals noch irritierend klang. Der Erfolg kam nicht über Nacht, aber dennoch in kurzer Zeit, dynamisiert durch die Corona-Krise. Sie trieb viele ins Homeoffice und ließ nicht wenige an einer Urbanisierung zweifeln. Denn diese sorgte mit immer Dichte und Gentrifizierung nicht zwangsläufig für mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität. 

Gretchenfrage: Was hat das mit Tourismus zu tun? 

Legendär in der Hauptstadtregion ist das St. Oberholz in Berlin, wo sich ab der Jahrtausendwende die digitale Boheme sammelte und im Grunde genommen Coworking und Gastronomie zusammen brachte, ohne das allerdings Coworking zu nennen. Dieser Begriff tauchte zum ersten Mal in San Francisco auf. Hier eröffnete 2005 das Spiral Muse. Es gab einen wesentlichen Unterschied zu den damals schon längst etablierten „Serviced Offices“ oder auch Business Centern, die auch in Deutschland in vielen Großstädten existieren: die durch das Coworking entstehende Arbeitsdynamik untereinander. Damit hing auch der Community-Gedanke zusammen, der die soziale Interaktion zu einem wesentlichen Attraktor der Orte macht. 

Foto eines Yoga-Kurses
Quelle:

TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH

BrandenburgCamp/Gut Boltenhof/Yoga-Session

Coworking war am Anfang ein urbanes Phänomen, getragen von einer wachsenden städtischen Kreativ- und Kulturszene, die oftmals selbst solche Orte schuf. Die ländlichen Räume spielten zum damaligen Zeitraum keine Rolle. Denn sie galten als rückständig, verlassenswert und defizitär. 2016 tauchten mit dem Netzwerk Village Office einer der ersten größeren Zusammenschlüsse im deutschsprachigen Raum auf, der sich dezidiert mit dem Arbeiten im Dorf beschäftigte. 

Gerade zu dieser Zeit entstand in Brandenburg mit dem Coconat ebenfalls der erste Workation- & Coworking-Ort. Wäre es nicht dieser Ort gewesen, dann gewiss ein anderer, denn mittlerweile war in Brandenburg etwas passiert, womit in den 1990er Jahren kaum jemand gerechnet hatte: Aus dem Wegzugsland wurde relativ unbemerkt ein Zuzugsland. Noch 2014 schlugen Wissenschaftler des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung vor, Prämien an die noch verbliebene ländliche Bevölkerung in Brandenburg zu zahlen, damit diese ebenfalls in städtische Regionen übersiedeln sollten. Diese Diskussionen gab es nicht nur in Brandenburg, sondern in weiten Teilen Ostdeutschlands, das in den letzten 30 Jahren viele hunderttausend Bewohner verloren hatte. 

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass Brandenburg besonders aus der Metropole Berlin seit Mitte der 1990er Jahre mehr Zuzüge als Abwanderung zu verzeichnen hat. Bis zur Mitte des letzten Jahrzehnts haben bereits 480.145 Menschen die umgekehrte Richtung eingeschlagen. Sicherlich traf und trifft zu, dass ein Großteil dieser Menschen „nur“ Wohnbevölkerung waren, die sich auf Suche nach attraktivem, familienfreundlichen und bezahlbaren Wohnraum für das Land Brandenburg entschieden. Aber ein nicht genau zu quantifizierender Anteil hat das Land Brandenburg auch als Lebens- und Arbeitsstandort gewählt. 

Der Tourismus profitierte seit jeher von neuen, innovativen Gründungen, die oft von Ex-Großstädterinnen und Großstädtern auf den Weg gebracht wurden. In Brandenburg macht sich dabei die besondere Mischung der Hauptstadtregion bemerkbar – die vielen Internationals: Yes, we can Brandenburg! So finden sich in im Coconat Menschen aus über 15 Nationen zusammen, die unter einem gemeinsamen Wertehorizont zusammen arbeiten. Und die es vor allem auch schaffen, Brücken zur Verständigung zwischen unterschiedlichen Meinungen und Einstellungen, zwischen Stadt und Land und Generationen zu bauen. 

Der Raumforscher Ulf Matthiesen charakterisiert diesen Personenkreis durch: 
  • eine vielfältige Nutzung bisher funktionslos scheinender Räume, 
  • die Entwicklung spezifischer, innovativer Lösungsmuster, 
  • die Nutzung von neuen gemischten Interaktionsformen, 
  • die kreative Nutzung von neuen Medien sowie 
  • eine gewisse Affinität zu Krisenräumen und –zeiten.